Mittwoch, 21. November 2012

Das Märchen vom Fachkräftemangel – ein Selbstversuch


Es war einmal ..... die Geschichte vom aussortierten Arbeitnehmer

Liebe Leser, ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die Geschichte von der Arbeitssuche über 40, vom Fachkräftemangel, von einem Land, das sich seines Wirtschaftswachstums rühmt und dabei einen Teil der Gesellschaft einfach ignoriert, aussortiert und vergisst. Die Rede ist von Deutschland, das sich gerade wieder einmal anmaßt eine Vormachtstellung in Europa einzunehmen und dabei vor lauter Lobgesang auf seine Industrie, die Menschen im eigenen Land und im Rest Europas vergisst. Die Schlagworte von den Faulen, ob Griechen oder Arbeitslose, sind gleichzeitig Schläge ins Gesicht der Menschen, deren Leben ein täglicher Kampf ist, ein Kampf um Arbeit, um Anerkennung und um finanzielle Freiheit. Haben nicht alle Menschen ein Recht auf Freiheit und wenn ja, weswegen verwehren wir dieses so wichtige Gut immer mehr Menschen, indem wir sie an den Rand der Gesellschaft schieben, indem wir ihnen würdige Arbeit und damit den letzten Funken Hoffnung auf eine wie auch immer geartete Freiheit rauben. Wir sollen bitte künftig bis zum Tode arbeiten, nicht nur die Deutschen, nein, auch die Griechen, vor allem die Griechen, schließlich haben sie nur ein Drittel der Produktivität eines Deutschen. Schon diese Aussage zeugt von der Arroganz und Anmaßung der deutschen Elite, wozu sich heute natürlich auch Politiker zählen.

Arbeiten bis zum Tod trotz Null-Aussicht auf Arbeit

Arbeiten bis 70, obwohl jedes Kind heute weiß, dass, wer die 40 überschritten hat, kaum noch adäquate Arbeit im Hightech-Land Deutschland findet, und das obwohl Deutschland doch an einem enormen Fachkräftemangel leidet. Tagtäglich tönt es aus den Medien, der Industrie fehlen adäquate Fachkräfte, Deutschlands Industrie wird bald nicht mehr konkurrenzfähig sein. Dass deutsche Produkte Angst vor Konkurrenz haben liegt nicht am Fachkräftemangel, es liegt vielmehr daran, dass wir auf Grund unseres Lebensstandards gar nicht mit Ländern wie China vergleichbar und deshalb auch nicht konkurrenzfähig sein können. Da können wir noch so viele Arbeitnehmer in prekäre Beschäftigungen drängen, am Ende schlägt es auf uns alle zurück. Wer nichts verdient, der kann auch nicht konsumieren, doch der Binnenmarkt ist wichtig und wird umso wichtiger je weiter sich Länder wie China entwickeln und autark werden. Hören wir auf einen Fachkräftemangel zu beklagen, nutzen wir stattdessen die vielen hochqualifizierten Arbeitnehmer über 45. Hören wir auf nur zum Wohle der Renditen, des Sharholder Values und des Exportwahns zu wirtschaften. Das so genannte Jobwunder ist eine Farce, es wird Zeit dass wir als Gesellschaft diesen Fehltritt rückgängig machen. Sind wir doch einmal ehrlich, wer von uns gut bezahlten Arbeitnehmern würde für 7 Euro die Stunde unter oftmals schwierigen Arbeitsbedingungen arbeiten. Abgesehen davon, dass wir mit unseren oftmals dekadenten Lebensstilen gar nicht davon leben könnten, stehen wir natürlich über den Billiglöhnern, Zeitarbeitern und Aufstockern. So wie wir gerade auf die Griechen und die ärmeren Länder der EU herabsehen und uns als deren Richter aufspielen, so machen wir es auch mit dem Teil der Bevölkerung, der arm, alt und pflegebedürftig ist.

Das Märchen vom Fachkräftemangel

Keiner, der noch Arbeit hat, kann sich die verzweifelte Suche nach würdevoller Arbeit auch nur ansatzweise vorstellen. Doch das Heer der Arbeitssuchenden über 40 wächst stetig, auch wir könnten morgen schon dazu gehören, Niemand ist vor der Gier nach Rendite sicher, deshalb lade ich sie ein, mich auf meiner kurzen Suche zu begleiten. Jeder der über 40 auf Arbeitssuche geht kennt die Probleme und vorgeschobenen Vorurteile, die Ignoranz und Überheblichkeit, die vielen bei der Suche nach Arbeit entgegenschlägt. Vor allem Deutschland hat ein Problem mit älteren Arbeitnehmern, ein Hohn, angesichts der Tatsache, dass wir zu einem der am schnellsten alternden Länder Europas zählen. Ein Blick auf unsere Gesellschaft und deren Umgang mit dem Alter macht klar, hier muss sich etwas ändern. Der in Politik und leider auch immer häufiger in den Medien so oft zitierte Mangel an Qualifikation spielt bei der Ablehnung eines Arbeitnehmers so gut wie keine Rolle. Vor allem die Älteren sind oft hochqualifiziert. Dennoch wird der Schrei nach Fachkräften in Deutschland immer lauter, erst kürzlich hat unsere verehrte Kanzlerin angekündigt, sich persönlich um dieses große Problem kümmern zu wollen. Der Fachkräftemangel, so Angela Merkel, ist ein Problem, dem wir ab sofort oberste Priorität einräumen. Schon deshalb sollten wir uns bei der Wahl gegen diese Option entscheiden. Wer Deutschland führen will, des muss sich für alle Menschen einsetzen, nicht nur für eine Wirtschaft, der jegliches Maß verloren gegangen zu sein scheint.

45+ Arbeitslose – gebildet und hochqualifiziert

Was die vielen bestausgebildeten Arbeitslosen 45+, deren Ausbildung vom Naturwissenschaftler bis zum Ingenieur reicht, zu diesem Populismus zu sagen haben, bleibt weitgehend im Dunkeln. Wer keine Arbeit hat, hat oft auch nichts mehr zu sagen. Industrie manipuliert Politik, Politik manipuliert Medien, deshalb begab ich mich für meine Geschichte an die Quelle, die Arbeitssuchenden selbst wollte ich zu ihrer Meinung zum aktuellen Arbeitsmarkt und ihren Erfahrungen mit Arbeitgebern befragen. Das Arbeitsamt – was für ein erschreckender Ort – aber auch das Internet boten einen reichen Fundus, der mich der Wahrheit zu Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel im reichsten Land Europas ein kleines Stückchen näher brachte. Auch wenn meine Befragung für eine repräsentative Umfrage eine zu geringe Stichprobe aufweist, so ist sie doch ein sehr bedenklicher Querschnitt durch unsere Bevölkerung. Viele Physiker, Chemiker, Elektrotechniker und Maschinenbauer jenseits der 40 gaben mir bereitwillig Auskunft, doch aufstehen und sich wehren, dazu sehen sich die meisten von ihnen aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage.

Einstellungsstop für 45+

Die Arbeitsagentur, so viele Betroffene, ist bei der Suche nach einer neuen Arbeit keine wirkliche Hilfe. Obwohl die Berater, wie könnte es anders sein, genau wissen, dass rund 50 Prozent aller Arbeitgeber keine Mitarbeiter über der magischen Grenze 45 einstellen, wird nichts dagegen getan. Sollten sie über 45 sein, vergessen sie ein Onlinebewerbung über ein Onlineformular, ihre Bewerbung wird nämlich nie ankommen. Oh Wunder, woran das wohl liegen mag. Ganz einfach, sobald die Datenbank ihr Geburtsdatum erkannt hat und dieses über 45 liegt, wird ihre Bewerbung ganz automatisch gelöscht. Das erstaunte auch viele Betroffenen, die zwischen drei und fünf Bewerbungen pro Woche schreiben, von denen rund 50 Prozent von den Arbeitgebern einfach ignoriert werden. 50 Prozent aller individuell verfassten Bewerbungen werden von Arbeitgebern also einfach ignoriert, obwohl diese eine Arbeitsstelle ja explizit ausschreiben und zur Bewerbung auffordern. Dies konnte ich kaum glauben, dachte an Übertreibung, Wut und Verzweiflung der Betroffenen. Andererseits waren viele dieser Arbeitssuchenden eher konservativ und meist wenig zu Übertreibung neigende Realisten. Da waren hochqualifizierte Mittfünfziger, die unverschuldet hochdotierte Arbeitsplätze verloren hatten, und nach längerer Arbeitslosigkeit dankbar für einen 400 Euro-Job sein mussten. Da gab es ausgebildete Elektroingenieure, die sich über ein bezahltes Praktikum freuen mussten und Mini-Jobber mit einem Doktortitel. Viele berichteten davon, nicht einmal bei 400 Euro-Jobs berücksichtigt worden zu sein, wobei gerade ihre frühere Führungsposition ein unüberwindbares Hindernis darstellte. Qualifikation und Selbstbewusstsein als Hindernis, was heute händeringend in Vorstandsetagen gesucht wird, kann einem Arbeitslosen zum Verhängnis werden. Ich war erschüttert, gleichzeitig wollte ich die Aussagen der Befragten überprüfen, sie quasi am eigenen Leibe erfahren. Also entschloss ich mich zu einem Selbstversuch. Über meine frustrierenden Erfahrungen lesen Sie im nächsten Teil.

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